Pinselohren, Backenbart und markante schwarze Punkte auf dem Fell: Ein Luchs ist schon ein besonderes Tier. Was fasziniert dich persönlich am meisten an ihnen?

Ein Luchs ist natürlich schön anzusehen und ganz sicher trägt das auch zu der Faszination bei, die von der Tierart ausgeht. Die Arbeit mit Luchsen ist sehr facettenreich und dadurch interessant. Man hat dabei nicht nur mit den spannenden Tieren, sondern auch sehr viel mit Menschen zu tun. Nicht zuletzt haben der Luchs und ich eine Gemeinsamkeit: Wir sind beide Jäger und haben gewissermaßen ein Interesse an denselben Beutetieren, wie Rehen und Hirschen. Ich finde es nach wie vor auch deshalb unglaublich spannend, diesem großen Beutegreifer nachzuspüren.       

Anfang der 2000er wurde im Harz das Wiederansiedlungsprojekt für die Luchse gestartet – das erste in Deutschland. Es begann mit 25 Tieren. Wie viele Luchse gibt es mittlerweile?

Im Rahmen des Wiederansiedlungsprogrammes wurden bis 2006 insgesamt 24 Luchse, neun Männchen und 15 Weibchen, ausgewildert. Seit 2002 gab es in jedem Jahr wildgeborene Jungtiere im Harz. Seit 2010 hat sich die Harzer Luchspopulation auch allmählich in das Umland des Mittelgebirges und in mehrere Bundesländer hinein ausgebreitet. Es ist daher kaum noch möglich, die exakte Zahl der Luchse zu ermitteln. Im Harz selbst schätzen wir aufgrund unserer Untersuchungen aber einen Bestand von rund 90 Luchsen, d. h. 55 ausgewachsenen Luchsen und 35 Jungtieren. In der letzten Saison kamen auch in vier kleineren Waldgebieten außerhalb des Harzes junge Luchse zur Welt und zusätzlich wandert hier und da der eine oder andere Luchs ohne festes Revier umher. Vielleicht sind es daher derzeit insgesamt rund 120 Luchse, die zur Harzpopulation gehören.             

Kannst du die einzelnen Tiere unterscheiden und erkennen sie vielleicht sogar auch dich?

Einige wenige wild lebende Luchse tragen Halsbandsender oder Ohrmarken. Sie helfen uns damit sozusagen bei unseren Forschungen. Diese Tiere kann ich natürlich voneinander unterscheiden. Außerdem ist die Fleckenzeichnung im Fell der Luchse so unterschiedlich, wie bei uns Menschen der Fingerabdruck. Es ist also möglich, auch unmarkierte Luchse zu unterscheiden. Das funktioniert aber nicht spontan bei zufälligen Begegnungen im Wald, sondern nur mit guten Belegfotos im Büro am Computer. Die meisten Luchse erkennen mich sicher nicht. Wenn wir den Tieren nachspüren, die Halsbandsender tragen, vermeiden wir es, so gut es geht, sie zu stören. Vielleicht denkt sich der eine oder andere aber schon manchmal: „Oh, nicht der schon wieder.“       

Auch wenn du Wissenschaftler bist: Sind dir einige Luchse ans Herz gewachsen?

Bei der Forschungsarbeit geht es ja immer eher um die Entwicklung der ganzen Population und einzelne Luchse dienen dazu, exemplarisch besondere Phänomene zu beschreiben. Wenn wir unsere Arbeit gut machen, dann bleibt immer eine deutliche Distanz zwischen Luchs und Mensch und Beobachtungen finden selten direkt, sondern meist mit technischen Hilfsmitteln, wie Sendern oder automatischen Kameras statt. Schließlich wollen wir ja unsere Ergebnisse nicht verfälschen, indem wir das Verhalten der Luchse mehr als unbedingt nötig beeinflussen. Ich würde daher nicht sagen, dass mir einzelne Luchse „ans Herz gewachsen“ sind, aber es gibt natürlich Tiere, die mit ganz besonderen Geschichten verbunden sind. Den ersten Luchs, der einen Halsbandsender erhalten hat, und dessen Wege wir durch den Harz verfolgen durften, werde ich sicher nicht vergessen. Ebenso den mit rund 13 Lebensjahren derzeit ältesten Luchs im Harz, den wir kennen. Er wird immer noch recht häufig beobachtet und ist als der „grimmige Steinbruchluchs“ oder der „Alte mit der gelben Ohrmarke“ bei vielen Jägern und Förstern in seiner Region schon so eine Art Legende.       

Was erforscht ihr am Luchs im Harz genau?

In dieser Hinsicht lässt sich unsere Arbeit in zwei Bereiche unterteilen. Zum einen führen wir ein dauerhaftes Monitoring durch, um die Entwicklung der Harzpopulation im Auge zu behalten. Es ist z. B. unsere Aufgabe nachzuvollziehen, ob sich die Population ausbreitet oder nicht. Dabei ist es auch wichtig, gesundheitliche Aspekte oder auch den genetischen Zustand im Auge zu behalten. Zusammen mit den Kollegen vom Senckenberg Labor für Naturschutzgenetik haben wir übrigens kürzlich einen umfangreichen Artikel zur Genetik der Harzluchse veröffentlicht.

Zum anderen gibt es aber auch zeitlich eingegrenzte Projekte. Vor einigen Jahren standen Untersuchungen zur Größe von Luchsstreifgebieten im Harz im Vordergrund, um daraus Hinweise auf die Anzahl der Luchse und deren Einfluss auf ihre Beutetiere ableiten zu können. Aktuell sind die aus dem Harz abwandernden Luchse von großem Interesse. Die Ausbreitung der Harzluchse aus dem Mittelgebirge heraus und durch eine teils intensiv genutzte Agrarlandschaft hindurch ist schon eine Besonderheit und wir hoffen, dass diese Informationen Hinweise darauf geben können, wie wir in Deutschland den Schutz des Luchses verbessern können. Klar ist schon jetzt, dass es langfristig gelingen muss, die allesamt kleinen Vorkommen in Mitteleuropa in einen genetischen Austausch zu bringen, wenn wir sie erhalten wollen. Dazu sind länderübergreifende Konzepte und Strategien nötig. Ich denke, die Daten aus dem Harzumfeld sind wichtig, um zu klären, wie und wo Luchse durch unsere Landschaften wandern.              

Sehen wie ein Luchs: Das kleine Raubtier hat ein außerordentliches überragendes Sehvermögen. Was ist daran so besonders und wie sieht es mit seinen anderen Sinnen aus?

Das Sehvermögen von Luchsen ist in der Tat sprichwörtlich. Als Pirsch- und Lauerjäger lebt er ja sozusagen davon, Objekte, Entfernungen und Geschwindigkeiten sehr gut einschätzen zu können. Auch das Hörvermögen der Tiere ist legendär. Wenn Sie einen Luchs längere Zeit beobachten, schließt dieser nach einer Weile möglicherweise sogar die Augen. Dennoch nimmt er mit den Ohren sofort jede Veränderung der Situation wahr. Anders ist es mit dem Geruchssinn. Dieser ist viel schwächer ausgeprägt als zum Beispiel bei Hunden.         

Treffen Wanderer hin und wieder auf einen Luchs oder ist das unwahrscheinlich? Wo bzw. auf welcher Wanderroute im Harz ist die Chance am größten?

Jährlich werden uns zahlreiche Luchsbeobachtungen gemeldet und das ist ja auch gut so, weil wir daraus z. B. wichtige Hinweise auf das Vorkommensgebiet der Luchse ableiten. Die entsprechenden Kontaktdaten findet man übrigens unter www.luchsprojekt-harz.de.

Die Frage, wo man denn einen wild lebenden Luchs sehen kann, wird mir oft gestellt. Ich kann sie aber nicht beantworten. Luchse nutzen sehr große Streifgebiete, die 100 oder auch 300 Quadratkilometer groß sein können. Rein statistisch gesehen kommen nur etwa 2,5 Luchse pro einhundert Quadratkilometer Harzwald vor. Beobachtungen sind also immer rein zufällig und lassen sich leider nicht planen. Wenn man sichergehen will, im Harz einen Luchs zu sehen, kann ich unser Schaugehege an der Rabenklippe bei Bad Harzburg empfehlen.                   

Ist eine Begegnung denn gefährlich?

Begegnungen mit Luchsen sind nicht gefährlich. Seit der Wiederansiedlung hier im Harz hat es niemals Attacken auf Menschen gegeben. Wie bei jeder Begegnung mit einem großen Wildtier gilt aber natürlich, den notwendigen Respekt zu wahren.

Wer gezielt Luchse sehen will, besucht das Luchs-Schaugehege an der Rabenklippe. Wie unterscheidet sich dieses Gehege von einem normalen Zoo?

Das Gehege liegt sehr deutlich abseits öffentlicher Straßen mitten im Nationalpark Harz. Direkt daneben befindet sich eine Waldgaststätte und von der Rabenklippe selbst hat man einen grandiosen Blick über das Eckertal zum Brocken. Unser Luchsgehege ist sehr groß und die Landschaft darin vom übrigen Harzwald kaum zu unterscheiden. Das lockt übrigens auch viele Filmteams dorthin.

Es bedeutet aber auch, dass man manchmal etwas Zeit zum Beobachten mitbringen muss, um die Luchse zu entdecken. Es gibt keine Öffnungszeiten. Das Gehege ist grundsätzlich rund um die Uhr erreichbar. Im Sommer kommt man fünfmal am Tag sogar mit dem Bus von Bad Harzburg aus dorthin. Ansonsten ist es auf dem kürzesten Weg eine etwa 45-minütige Wanderung durch sehr reizvolle Landschaft.       

Eine hoch gelegene Besucherplattform ermöglicht sogar einen zaunfreien Blick. Und besonders beliebt ist die öffentliche Luchs-Fütterung. Für wen und warum lohnt sich ein Ausflug hierher?

Gerade die öffentlichen Fütterungen, an jedem Mittwoch und Samstag, bieten natürlich die Garantie, die Luchse auch aus nächster Nähe zu Gesicht zu bekommen. Bei den Fütterungen trifft man daher viele Familien mit Kindern. Einzelne Besucher mit hochwertigen Kameras sind eher während der übrigen Zeiten vor allem morgens oder gegen Abend am Gehege. Aufgrund der nahen Gaststätte und des tollen Ausblicks finden auch viele Wandergruppen ihren Weg dorthin.   

Im „Haus der Natur“ in Bad Harzburg gibt es eine interaktive Walderlebnis-Ausstellung - unter anderem mit weiterführenden Infos zum Luchs. Das klingt spannend. Ist diese auch Familien mit Kindern zu empfehlen?

Das „Haus der Natur“ oder „HarzWaldHaus“, wie es künftig heißen soll, wird gerade aufwendig umgestaltet. Eine Spezialfirma baut eine ganz neue, moderne und interaktive Ausstellung ein. Nach der Wiedereröffnung ist diese besonders - aber natürlich nicht nur - für Familien zu empfehlen. Der Luchs wird übrigens ein Schwerpunktthema der Ausstellung bleiben. Die Wiedereröffnung soll schon in wenigen Wochen erfolgen. In Zeiten der Corona-Pandemie sollten Interessenten aber unbedingt vor einem Besuch im Internet nachschauen, ob das Haus geöffnet ist. Das gilt natürlich auch für die zahlreichen anderen Angebote im Harz.    

Du bist der Koordinator des Luchsprojektes. Wie sieht ein typischer Tag in deinem Job aus?

Das Schönste an meinem Job ist, dass es den typischen Tag eigentlich gar nicht gibt. Natürlich sitze auch ich sehr viel am Schreibtisch, vermutlich viel häufiger als die meisten denken, aber es kann eben auch jederzeit das Telefon klingeln und eine besondere Luchsbeobachtung oder der Fund eines vom Luchs gerissenen Rehes muss überprüft werden und wirft damit die gesamte Tagesplanung über den Haufen. Zugegeben, diese fehlende Planbarkeit und die dadurch häufig sehr langen Arbeitstage sind auch immer wieder eine Herausforderung aber grundsätzlich gefällt mir die Abwechslung sehr gut. Im Laufe eines Jahres wechseln die Arbeitsschwerpunkte mehrfach. Mal steht über Wochen die Kontrolle und Auswertung unserer zahlreichen automatischen Wildkameras im Vordergrund, dann wieder überprüfen wir z. B. schwerpunktmäßig die Lokalisationen sendermarkierter Luchse und dann gibt es eben auch lange Phasen der Datenauswertung oder mit dem Verfassen von Berichten oder Ähnlichem am Schreibtisch.

 

Stand: Juni 2020