Aussichtspunkt Ith-Hils, © TourismusMarketing Niedersachsen GmbH/Romy Robst
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Autorenfoto Romy Robst
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Mit al­len Sin­nen – ei­ne Wan­de­rung auf dem Ith-Hils-Weg


„Tock” – ich halte mitten in der Bewegung inne und spitze die Ohren. „Tock-tock-tock“ – mein Blick huscht nach oben, sucht systematisch das dichte Blattwerk der alten Buchen ab. „Tock-tock-tock-tock-tock-tock“ – dort! Die leuchtend rote Kopfplatte und das ebenso auffällige Hinterteil machen es mir einfach, den Buntspecht zu erspähen, der gerade auf der Suche nach Futter unter erheblichem Kraftaufwand Löcher in den Baum meißelt. Noch tausende Male wird er das Prozedere allein an diesem sonnigen Juni-Tag wiederholen, damit sein Bauch am Abend gut gefüllt ist.

Spontan entscheide ich mich, auch meinem Bauch etwas Gutes zu tun und meine erste Pause einzulegen. Ich befinde mich auf dem Ith-Hils-Weg, genauer gesagt auf meiner letzten Etappe und bin noch längst nicht satt von den vielfältigen Naturerlebnissen, die mir dieser ausgezeichnete, 80 Kilometer lange Weitwanderweg an jeder Ecke bietet.

Wer still ist, hört mehr


Ich suche mir ein ruhiges Plätzchen auf einem sonnenbeschienenen Baumstamm und packe mein Pausenbrot aus. Mit einem keckernden „Kjeck“ fliegt derweil mein Buntspecht davon.

Womöglich ist das Schönste am Wandern ohnehin die Pause. Nicht weil ich die Bewegung scheue, sondern weil ich dann wirklich ein Teil der Natur werden kann. Ein durch den Wald stapfender Wanderer macht für Reh, Fuchs und Vögel Krach, mag er sich auch noch so leise bewegen. Sie hören uns frühzeitig und machen sich für unsere Augen unsichtbar. Doch wenn wir ein paar Minuten ruhig an einer Stelle sitzen, nehmen sie das geschäftige Treiben wieder auf – wie als würden sie unser Erscheinen in ihrem Lebensraum akzeptieren. Dann steckt eine Maus nur wenige Meter entfernt das Köpfchen aus dem Loch, der Chor der Singvögel startet das nächste Konzert und auch der Buntspecht kehrt trommelnd an seinen Futterplatz zurück. Das Einzige, was wir dafür tun müssen: ruhig sitzen bleiben und lauschen.

Freilich funktioniert dies nur dort, wo wenig Wanderverkehr ist. Der Ith-Hils-Weg ist da schon so etwas wie ein Geheimtipp unter den Weitwanderwegen. Auf dem vom Deutschen Wanderverband als "Qualitätsweg Wanderbares Deutschland" ausgezeichneten Rundweg geht es ruhig zu und ich kann über weite Strecken völlige Stille genießen. Trotzdem bietet der Weitwanderweg im Herzen des Weser-Leine-Berglandes ein ausgezeichnetes Wanderleitsystem. Verlaufen ist nahezu unmöglich.

Ein Ur­wald im Her­zen Nieder­sachsens


Ein weiteres Qualitätsmerkmal des Ith-Hils-Weges ist die nachhaltige Bewirtschaftung der Wälder durch die er führt. Das wird mir vor allem an diesem dritten Wandertag bewusst, der mich von Coppenbrügge bis nach Holzen durch das Naturschutzgebiet Ith führt. Das etwa 6000 Fußballfelder große Naturjuwel mitten in Niedersachsen ist das größte Kalkbuchen- und Schluchtwaldgebiet im Bundesland. Was etwas sperrig klingt, ist tatsächlich so etwas wie echte Wildnis – sozusagen ein Urwald mitten in Europa. Buchenwälder wie im Ith gehören zu den am stärksten bedrohten Lebensräumen weltweit, in Deutschland steht etwa ein Viertel des Gesamtvorkommens. Allerdings gibt es auch bei uns nur sehr wenige alte, naturnahe Buchenwälder mit Urwaldcharakter. Genauer gesagt existieren sie nur noch auf 0,16 Prozent der Waldfläche.

Mich faszinieren diese unter Schutz stehenden ursprünglichen Buchenwälder wie im Ith. Neben gesunden bis zu 300 Jahre alten Baumriesen wirkt alles auch ein bisschen unordentlich und wild. Jeder vor sich hin rottende abgestorbene Baumstamm ist von enormer Bedeutung für die Artenvielfalt. Er ist zum Beispiel für „meinen“ Buntspecht wie ein reich gedeckter Tisch voll mit Insektenlarven. Hunderte Pilze zersetzen jahrelang das Holz und Wissenschaftler wiesen über tausend Käferarten im Totholz nach. Ob Pilze, Flechten, Moose, Ameisen, Schmetterlinge oder Bienen – für sie alle ist Alt- und Totholz eine wichtige Lebensgrundlage.

Zusammen mit Felsen, Klippen und Höhlen, Quellen und Bachläufen bieten die Wälder entlang des Ith-Hils-Weges tausenden Pflanzen- und Tierarten ein Zuhause – sogar Wildkatzen haben sich dieses Gebiet zurückerobert.

Der Ge­ruch, der Vam­pi­re ver­treibt


Die scheuen, wilden Katzen zu Gesicht zu bekommen, ist jedoch wie ein Gewinn im Lotto. Da hilft es leider auch nicht, sich während einer Pause minutenlang still auf einen Baumstamm zu setzen und die Umgebung zu scannen. An einem Phänomen im Frühjahr kommt man jedoch auf dem Ith-Hils-Weg selbst mit geschlossenen Augen nicht vorbei. Dem ausgeprägten Geruch des Bärlauchs. Dieser steigt mir mit dem ersten Schritt auf dem Weitwanderweg direkt in die Nase und lässt mich bis zur letzten Minute nicht mehr los. Die ausgedehnten Bärlauchfelder stehen in voller Blüte und ich bleibe manchmal mit offenem Mund stehen, wenn sich wieder einmal ein Feld mit Abermillionen weißen Blüten vor mir erstreckt.

Im Ith selbst ist aufgrund des Naturschutzstatus das Pflücken des Bärlauchs verboten, aber im Hils, auf dem Duinger und Thüster Berg wandert das ein oder andere Blättchen auf mein Pausenbrot. Klar, den zarten Knoblauchgeschmack muss man mögen – aber soll er nicht auch vor blutsaugenden Vampiren schützen? Sagt man nicht, dass der Knoblauchgeruch für feine Vampir-Nasen unerträglich sei? Nun ja, was ich sicher nach meiner Weitwanderung sagen kann: blutsaugende Mücken lassen sich vom Geruch nicht abschrecken und kleine, fliegende Vampire auch nicht. Denn der Ith, der mit seinen bizarren Felsen und Klippen ideale Lebensbedingungen bietet, ist voll mit kleinen Fledermäusen. Allerdings finden sich unter den Nachtschwärmern im Ith keine blutsaugenden Vampirfledermäuse. Die gibt es vornehmlich im amerikanischen Raum. Und die gebietstypischen Fledermausarten wie Großes Mausohr, Wasserfledermaus, Bartfledermäusen und Teichfledermaus ernähren sich ohnehin von Insekten.

Grün, wo­hin das Au­ge reicht


Drei Tage brauche ich für die sportliche Variante des Ith-Hils-Weges. Wer lieber öfter oder länger auf Baumstämmen sitzend in die Natur eintauchen und Buntspechte beobachten will, nimmt sich mehr Zeit. Übernachtungsoptionen gibt es für eine Wanderung, die bis zu sieben Tage dauert. Wobei unser absoluter Geheim-Tipp die Blockhütten am Naturfreundehaus Lauenstein sind, die man auch für eine Nacht als herrliche Übernachtungsstation inmitten dieser wunderbaren grünen Natur mieten kann. Wer dann in der Dämmerung noch draußen auf der Terrasse sitzt, darf mit etwas Glück auch den ein oder anderen fliegenden Vampir beobachten.

Wenn ich den Ith-Hils-Weg mit einem Wort beschreiben müsste, dann wäre es dieses: Grün. Das saftige Grün des Bärlauchs am Boden, das etwas blassere Grün der Baumwipfel über mir und – wenn der Ith-Hils-Weg mal aus dem urigen Wald herausführt – die grünen Wiesenflächen der umliegenden Ortschaften. Die man übrigens auch aus der Vogelperspektive betrachten kann, wenn man einen der Aussichtstürme erklimmt. Stufe für Stufe steige ich sowohl beim Wilhelm-Raabe-Turm, Lönsturm als auch Ithturm eine „Buchenlänge“ hinauf und kann so über die Baumwipfel blicken und phänomenale Aussichten über das Weser-Leine-Bergland genießen. Zudem bieten sich feine Ausblicke auf dem Leineberglandbalkon und auch von einigen der beeindruckenden Ith-Klippen. Das alles macht den Weitwanderweg in Niedersachsen zu einer äußerst abwechslungsreichen Mehrtagestour. Ich glaube, ich komme noch einmal im Herbst wieder.

Autorenfoto Romy Robst

Seit mehr als 20 Jahren ist Niedersachsen Romys Wahlheimat. Auch wenn es sie als bergliebende Flachländerin oft in die Berge zieht, sie hat eine Schwäche für die Wanderregionen in Niedersachsen. Wobei sie am liebsten mit zwei Dingen unterwegs ist: ihrem Wanderhund Lotte und einem Trekkingrucksack, gepackt für mehrtägige Wanderungen. In ihrem Blog bereitet sie die Touren zum Nachwandern auf. Als Autorin für den Rother Bergverlag hat sie auch einen Wanderführer über den Harz geschrieben.