Aussicht Drei Türme , © TourismusMarketing Niedersachsen GmbH/Romy Robst
© TourismusMarketing Niedersachsen GmbH/Romy Robst
Autorenfoto Romy Robst
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Die TER­RA.tracks im Os­na­brü­cker Land


Es gibt ihn in jedem Jahr, diesen einen ganz besonderen letzten sonnigen Herbsttag. Wenn die tiefstehende Herbstsonne ein letztes Mal goldenes Licht durch bunte Baumwipfel wirft, unter den Wanderschuhen Herbstlaub raschelt und die Luft kühl und klar ist. Manchmal ist dieser Tag im Dezember, manchmal auch schon Anfang November. Im Jahr 2021 fällt er exakt auf den 22. November. Nur wenige Tage später wird eine Kaltfront das erste Mal Schnee nach Niedersachsen bringen.

Was habe ich für ein Glück, dass ich mir ausgerechnet diesen 22. November für meine Erkundung des Osnabrücker Landes, genauer gesagt des Natur- und UNESCO Geoparks TERRA.vita, ausgesucht habe. Eines aber sollten Wanderer vorab wissen: Mit spektakulären Schauspielen wie dem höchsten Berg, der ausgedehntesten Heidefläche oder der längsten Hängebrücke kann das Osnabrücker Land nicht dienen. Es kommt ganz ohne Superlative aus und überzeugt mich stattdessen mit intakter Natur. Ein selten gewordenes Juwel in unserem Land. Eigentlich ist der Natur- und UNESCO Geopark TERRA.vita damit typisch niedersächsisch. Bodenständig und unaufgeregt – oder wie der Niedersachse sagen würde: sturmfest und erdverwachsen.

TER­RA.track Die drei Tür­me


Wenn man sich in einer Region nicht sonderlich gut auskennt, ist es immer eine gute Idee, sich Wege auszusuchen, die einen Namen haben. Einerseits sind sie meist gut gewählt und attraktiv, andererseits kommen sie ausgesprochen gut markiert daher und die Orientierung fällt leicht. An Auswahl solcher Wege mangelt es im Osnabrücker Land nicht. Allein 74 überwiegend als Rundwanderungen konzipierte Wanderrouten führen durch den Naturpark. Diese sogenannten TERRA.tracks zeigen die landschaftliche Vielfalt des Osnabrücker Landes – jeder mit einem eigenen Schwerpunkt.

Meine Wahl fällt auf den TERRA.track „Die drei Trüme“ in der Nähe von Melle. Eine gute Entscheidung, präsentiert sich der Weg doch oft als schmaler herrlicher Waldpfad und der Naturpark als robuster Mischwald, in dem vor allem die Lärchen im Herbst zarte gelbe Farbtupfer in meine Bilder zaubern. Ohnehin ist die Stimmung an diesem Tag wunderbar. Die Sonne wirft ihre wärmenden Strahlen durch die schon vielerorts kahlen Bäume, ein Schwarzspecht-Paar fliegt lautstark davon und dann gibt es ja noch die Türme, die dem TERRA.track seinen Namen geben.

Auf einer Erhebung von knapp 200 Metern steht auf der Ottoshöhe der erste Aussichtsturm meiner Wanderung, der mich noch einmal knapp dreißig Meter weiter nach oben bringt. Zugleich habe ich einen phänomenalen Überblick über die Wegstrecke des Tages. Im Nordosten erhebt sich in selber Holzbauweise der Aussichtsturm auf der Friedenshöhe, während im Nordwesten die Diedrichsburg Melle zu sehen ist. Alle drei Türme ragen weit über die Baumwipfel hinaus und bieten feine Aussichten ins Osnabrücker Land. Wer mag, kehrt am Ende seiner Tour ins Weberhaus ein. Hier gibt’s im November und den Winter über typisch niedersächsische Grünkohlgerichte.

Wenn der Him­mel lebt


Die Türme könnten das Highlight meiner Wanderung sein, aber die Natur hält noch eine weitere Überraschung für mich bereit. Denn obwohl ich zum Zeitpunkt meiner Wanderung nicht sicher weiß, dass es der vorerst letzte milde Tag in diesem Jahr sein wird, die gefiederten Vertreter, die lautstark am Himmel tröten, wissen es ganz sicher. Die zuweilen kahlen Baumwipfel über mir erlauben eine freie Sicht auf die tieffliegenden Kraniche, die man neben ihrer keilförmigen Flugformation vor allem an den gespreizten langen Federn an den Flügelenden erkennen kann. Außerdem sind sie viel größer als Gänse und haben lange Beine. Ihr trompetenartiges Rufen kündigt sie schon lange bevor ich sie erspähen kann an. Mehr als 40.000 der gefiederten Großvögel haben laut BUND nur ein paar Kilometer von meinem Standort entfernt in der Diepholzer Moorniederung am Dümmer See noch Rast auf ihrem langen Flug vom Norden Europas und Russlands bis nach Südeuropa gemacht. Der Dümmer See ist das drittgrößte Kranichrastgebiet Europas.

Die ganze Wanderung werde ich von ordentlichem Lärm am Himmel begleitet – es ist ein Genuss für meine Hörzellen. So viele! Es müssen Tausende Kraniche an diesem Tag sein, die die letzte Chance für ihren Flug nach Süden nutzen. Ein Naturschauspiel sondergleichen. Einige wenige Tausend Vögel werden übrigens im Osnabrücker Land bleiben und hier überwintern. Ein Wiedersehen mit den anderen gibt es ab Ende Februar, wenn sie ihren Rückflug antreten.

Mehr Tipps über die Kraniche im Osnabrücker Land gibt’s beim BUND Diepholzer Moorniederung hier.

Ach, ich blei­be noch ein biss­chen län­ger


Wie schön es ist, wenn Erwartungen noch übertroffen werden. Ich entscheide mich daher spontan, ein bisschen länger zu verweilen und noch ein wenig mehr von der Landschaftspalette des Osnabrücker Landes zu entdecken. Freilich, diese erste sensationelle Wanderung werden meine beiden anderen Wanderungen nicht toppen können, müssen sie aber auch nicht.

Eine abendliche Kurzwanderung auf dem TERRA.track „Pilzweg“ lehrt mich, ganz genau hinzuschauen. Das ist ganz im Ansinnen des Natur- und UNESCO Geoparks. TERRA.vita bedeutet so viel wie „Lebenslauf der Erde“ und Pilze sind mitverantwortlich für das Recycling nach Waldart. Sie zersetzen allerlei Totholz und sind wichtig für den Kreislauf der Nährstoffe. Allein der Name des Weges lenkt meinen Fokus auf sie und ich entdecke vielfältige Pilzgestalten. Mit einem Abstecher zum Sonnenuntergang auf den Aussichtsturm Steinegge hat sich auch dieser TERRA.track das Prädikat „wanderwert“ verdient.

Bei meiner Abschlusstour auf dem TERRA.track „Von Quelle zu Quelle“ taucht er übrigens doch noch unverhofft auf, der Superlativ. In Form der größten Kalksinterterrassen in Niedersachsen. Deren Kalkschichten sind Millionen Jahre alt, mittlerweile zu Stein verfestigt und an die Erdoberfläche gelangt – das ist einzigartig in Norddeutschland, aber nicht unbedingt auf den ersten Blick als ein solches Naturschauspiel zu erkennen. Doch das war mir auch nicht wichtig, ich wollte einfach in der Natur sein – und habe doch so viel mehr bekommen: Balsam für die Seele. Ruhe. Zufriedenheit.

Autorenfoto Romy Robst

Seit mehr als 20 Jahren ist Niedersachsen Romys Wahlheimat. Auch wenn es sie als bergliebende Flachländerin oft in die Berge zieht, sie hat eine Schwäche für die Wanderregionen in Niedersachsen. Wobei sie am liebsten mit zwei Dingen unterwegs ist: ihrem Wanderhund Lotte und einem Trekkingrucksack, gepackt für mehrtägige Wanderungen. In ihrem Blog bereitet sie die Touren zum Nachwandern auf. Als Autorin für den Rother Bergverlag hat sie auch einen Wanderführer über den Harz geschrieben.